Das erste Mal - Ulrich Baer und Baer-und-Baer-Verlag

Direkt zum Seiteninhalt
Das erste Mal
Sex mit einem Mann. Er war ein "Tonbandfreund". Manfred* lebte in Ostfriesland, in Aurich. In demselben Landkreis, in dem ich heute wohne, - ganz im Nordwesten Deutschlands. Und er war mein Tonbandfreund, also wie ich im Ring deutscher Tonbandfreunde e.V.(rdtev.de). Dieser 1957 gegründete Verein gab ein Mitgliederverzeichnis heraus, in dem Tonbandamateure mit Adresse und Interessen gelistet waren. So entwickelten sich viele Freundschaften über das gemeinsame Hobby und analog (in der Tat: analog!) den Brieffreundschaften schickte man sich kleine besprochene Tonbänder gegenseitig - günstig frankiert als "Warensendung" - zu.
Mit Geldgeschenken zur Einsegnung und Erspartem hatte ich mir das erste portable Amateuertonbandgerät der Welt, das Grundig TK1, zugelegt. Habe damit kleine Reportagen und Beiträge für den Berliner Krankenhausfunk aufgenommen - z.B. den Direktor des Berliner Aquariums in seiner Dienstwohnung am Morgen nach seiner Samstagabendparty interviewt: in der Wohnung standen lauter Weinflaschen rum und ein Papagei kreischte die ganze Zeit im Hintergrund.
Mit dem Manfred aus Aurich tauschte ich per Tonband auch zunehmend intimere Fragen aus. Er sollte mir schildern wie man es denn nun ganz praktisch mit Mädchen macht.
Am 8.7.1966 habe ich in meinem Tagebuch notiert: "Meine homosexuelle Neigung entstand nur aus Unwissenheit über die konkreten Praktiken gegenüber dem anderen Geschlecht." Das sollte sich später dann doch als Irrtum heraus stellen.
Zwei Wochen später notiere ich: "Information (-Tips von Mann zu Mann-) über das Schlafen mit Mädchen von Manfred erbeten oder Buch. Hat er auch gegeben. Löst den Komplex! Manfred will (mit der Einkalkulation eines ganz bestimmten Wunsches) vom 20. September bis 4. Oktober nach Berlin kommen. Ich will aber vorher mit einem Mädchen geschlafen haben, sonst - fürchte ich - ist man zu eindeutig festgelegt."

Es kam, wie es kommen musste. Manfred und ich landen am ersten Abend seines Besuchs im Bett. Es verlief zwar aufregend, aber aus der Perspektive späterer Jahre ernüchternd harmlos: durch gegenseitiges "runterholen" hatten wir zwar unsere Orgasmen, aber ich habe es nicht als Erfüllung meiner Sehnsüchte in Erinnerung. Zumal Manfred gleich danach die "Verführung" seines jungen Tonbandfreundes bereute, er kniete sich wirklich vors Bett hin und betete, dass ihm der liebe Gott sein sündiges Tun vergeben möge. Er war streng evangelisch.
Die weitere Zeit seines Besuchs verlief emotional sehr distanziert und verkrampft. Seine Reue hatte alles verdorben.
Was hatte die konservative Moral bloß mit uns gemacht! Ich war zwar schon erwachsen, aber gleichgeschlechtlicher Sex (auch zwischen erwachsenen Männern) war noch verboten und die zaghafte Liberalisierung ließ noch einige Jahre auf sich warten.
Fotoquelle:
Wikimedia Commons: Hannes Grobe 2006. Own work, share alike, attribution required (Creative Commons CC-BY-SA-2.5).

* wie es immer so schön heißt: "Der Name ist der Redaktion bekannt". Datenschutzgründe eben!
Zurück zum Seiteninhalt